Skandal um Rebranding: das neue Jaguar Design: Armutszeugnis, Marketing Coup oder doch »Rage Bait«?
Jaguar hat kürzlich sein neues Design präsentiert und dabei eine Welle der Entgeisterung ausgelöst. Die elegante Raubkatze scheint bei der visuellen Rodung auf den ersten Blick unter die Räder geraten zu sein. Übrig bleibt scheinbar ein blanker Schriftzug, über den es sich aus unterschiedlichsten Gründen empört wird. Wir betrachten das Spektakel unter den Blickpunkten des Designs, der Marke und des Marketings:
Minimalismus und Design
Bereits seit Jahren beobachten wir eine Gegenbewegung zum Minimalismus im Design, die immer lauter wird und sich vorrangig an Redesigns großer Unternehmen abarbeitet. Die zunehmende »Seelenlosigkeit« in Gestaltung, Architektur und Kultur wird als visuelle Ausformung und Symptom einer globalisierten und entfremdeten Gesellschaft wahrgenommen.
Der Trend zum Minimalismus ist jedoch so alt wie der Begriff »Design« selbst: 1912 wurde mit Adolf Loos und seinem »Haus ohne Augenbrauen« das Ornament zum Verbrechen erklärt. Dieses Kredo setzte sich im Zuge der Bauhaus-Bewegung im Design fort und wurde mit modernen Marken wie Apple zum Mantra eines ganzen Berufsstandes.
Doch was vor 20 Jahren noch auf Begeisterung stieß und als mutig galt, wird heute von vielen als austauschbar, einfallslos und langweilig wahrgenommen. Menschen sind übersättigt von den immer gleichen Groteskschriften, Formen und Grautönen der Tech Branche. Viele Firmen haben zu leichtfertig ihre visuelle Identität zugunsten des Minimalismus aufgegeben.
Jedoch bedeutet Minimalismus nicht gleich den Verlust der Markenidentität. Guter Minimalismus schafft es eben, diese Identität auf den Punkt zu bringen.
Rebrandings und derart groß inszenierte Neuauftritte gehen weit über ein Logo und eine Schrift hinaus. Bildwelt, Markenidentität und Design-Systeme kann man nur beurteilen, wenn man die tatsächliche Anwendung über einen längeren Zeitraum beobachtet. Im Falle einer Automarke ist der wichtigste Markenträger das Auto. Und dieses haben wir bei Jaguar noch nicht gesehen.
Am Ende geht es um die Geschichte, die eine Marke erzählt. Reduktion macht nur dort Sinn, wo sie hilft, dieser Geschichte Raum zu geben und wo ein Design-System Prozesse vereinfacht.
Logo, Bildwelt und Heritage
Der präsentierte Schriftzug von Jaguar wird in der derzeitigen Diskussion häufig alleinstehend betrachtet und wirkt deshalb besonders banal und einfallslos. Rein typografisch ist aber anzumerken, dass der vorangegangene Schriftzug für sich allein ebenfalls kein Meilenstein war. Wie ein Freund und Kollege meinte: »Auf dem Kühlergrill eines teuren Autos sehen die meisten Logos gut aus.«
Was wir neben dem Logo noch gesehen haben, war die Bildwelt: Sie wirkt konstruiert, futuristisch und gekünstelt hyper-progressiv mit einer poppigen Farbpalette und einem Look and Feel zwischen Sci-Fi, High Fashion und chinesischem Handyproduzenten. Autos sehen wir im ersten Launch-Video nicht. Und auch der Jaguar springt im Video weder als Maskottchen noch als Vektorgrafik hinter irgendeinem Busch hervor. Eine einzige Grafik findet man, in der die Raubkatze doch noch im Design System erscheint, jedoch scheinbar nur am Rande und sicher hinter Gittern. Ein Hilferuf?
Was am meisten schockiert ist aber der radikale Bruch mit der Heritage der Marke: Vom Luxusauto für reiche Männer, die teure Zigarren rauchen und ihre Ledersitze für Fahrgäste mit Plastikfolie abdecken, zum E-Auto für Raumfahrt-begeisterte Dragqueens. Dieser radikale Umschwung passiert keinem Unternehmen unabsichtlich und scheint ein zum Teil gelungener Marketing-Coup zu sein. Denn kaum ein Rebranding hat so viel kostenfreies Medieninteresse geweckt wie dieses.
Rage Bait: Aufmerksamkeit um jeden Preis
Aufbauend auf der Philosophie, dass es keine schlechte Presse gibt, hat sich in den letzten Jahren eine krude Form des Marketings entwickelt: so genannter Rage Bait. Dabei wird versucht, durch gezielte Provokation negatives Feedback auszulösen, und so im Algorithmus besser ausgespielt zu werden.
Wenn es Jaguar also um schnelle Aufmerksamkeit ging, haben sie ihr Ziel erreicht. Ähnlich wie das Redesign des Twitter-Logos oder die Umbenennung von Facebook in Meta. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir uns an immer absurdere Neupositionierungen und Brandings gewöhnen werden müssen. Denn eine vorsichtige Markenentwicklung, die Heritage achtet, den Markenkern bewahrt und mit Fingerspitzengefühl weiterentwickelt, haut eben keinen mehr vom Hocker. Im brutalen Kampf um die wenigen Sekunden Aufmerksamkeitsspanne, die uns noch bleiben, kann nur noch eine komplette und vollständige Kehrtwende wirklich überraschen. Deshalb hier meine Prophezeiungen für die nächsten drei großen Repositionierungen:
- Apple bringt die Kabeltelefone zurück und heißt jetzt »The Company«, die einzige Systemschrift auf allen Endgeräten ist Papyrus, das Logo ist ein NFT der Mona Lisa.
- Kellogg’s verkauft jetzt selbstfahrende Klappräder für Senioren und Rollschuhe, die blinken. Ihr Slogan: »for cereals«
- Tchibo verkauft nichts außer Kaffee.
Abschließend müssen wir wohl gespannt auf den 2. Dezember warten, denn dann präsentiert uns Jaguar mit dem neuen flotten Motto »copy nothing« endlich das, worum es eigentlich geht: Ein Auto, das wir uns nicht leisten können.
Miro Schober
Bilder ©Jaguar